Chat-Transkript vom 25.05.2009

Reinhold Robbe, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages (SPD)

Thema: Bundeswehr

: Moderator hat den Raum betreten
: Reinhold_Robbe hat den Raum betreten
Moderator: test
Moderator: Wir haben noch ein bisschen Zeit. Um 18 Uhr beginnt der Chat. Ich werde mit einer kurzen Vorstellung beginnen. Danach beginnt dann die Fragerunde. Das nur zur Information ;)
Moderator: So - wir sind sichtbar
Moderator: Ok. Beginnen wir.
Moderator: Hallo und Herzlich Willkommen bei dol2day, Herr Robbe. Mein Name ist Fred Härtelt, ich bin Internetkanzler bei dol2day und werde den Chat heute moderieren.
Moderator: Zu Gast ist heute Herr Reinhold Robbe (SPD). Herr Robbe ist Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages. Thema des Chats ist die Bundeswehr. Möchten Sie noch etwas von Ihrer Seite anfügen?
Reinhold_Robbe: Hallo lieber Internetbundeskanzler! Vielen Dank für diese spannende und interessante Möglichkeit des direkten Dialoges! Dann mal los.
Moderator: Frage von StUffz an Reinhold Robbe:    "Schönen guten Abend Herr Robbe"
Moderator: Erste Frage von mir als Einstieg: wie stark hat sich das Aufgabengebiet der Bundeswehr in dem letzten Jahrzehnt geändert und welche neuen Anforderungen muss die Bundeswehr erfüllen?
Reinhold_Robbe: Die wichtigste Veränderung der letzten 1 1/2 Jahrzehnte war der Wandel von der ehemaligen Armee der reinen Bündnisverteidigung zur Einsatzarmee. Das hat eine umfassende Transformation erforderlich gemacht, die bis zum heutigen Tage noch nicht ganz abgeschlossen ist.
Moderator: Frage von Makenshi an Reinhold Robbe:    "Grüß Gott Herr Robbe, mich würde interessieren wie sie zur Wehrpflich stehen. Halten sie diese heute noch für sinnvoll?"
Reinhold_Robbe: Unabhängig von der Tatsache, dass ich jede künftige Entscheidung unseres Parlaments zur Frage der Wehrpflicht akzeptiere und nachvollziehe, bin ich persönlich ein Anhänger der Wehrpflicht aus guten Gründen. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee, aber auch eine Wehrpflichtarmee. Das hat nach meiner Auffassung zur Transparenz in der Bundeswehr beigetragen und sorgt für eine breite gesellschaftliche Spiegelung in der Bundeswehr wieder. Als Wehrbeauftragter sage ich, dass die Wehrpflicht aus der Landesverteidigung abgeleitet werden muss. Insofern muss sich jede Regierung immer wieder neu fragen lassen, ob die Wehrgerechtigkeit gewährleistet ist.
Moderator: Frage von StUffz an Reinhold Robbe:    "Herr Robbe: Mal eine eher ungewöhnliche Frage: Wieso haben sie eigentlich den Wehrdienst verweigert und haben lieber Zivildienst geleistet? (soll die Runde erst einmal auflockern)."
Reinhold_Robbe: Ich habe mich Anfang der 70er Jahre dafür entschieden, 18 Monate in einer Behindertenwerkstatt Zivildienst zu leisten, weil mir weder meine Lehrer noch der Jugendoffizier erklären konnte, weshalb ich damals im Ernstfall auf meine Verwandten in Erfurt und Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) hätte schießen sollen. Heute haben wir eine vollkommenen veränderte sicherheitspolitische Situation in der Welt. Heute wird die Bundeswehr ausschließlich für friedensschaffende und friedenserhaltende Missionen eingesetzt, so dass ich in dieser heutigen Bundeswehr auch keine Probleme hätte, als Soldat zu dienen.
Moderator: Frage von Richard B. an Reinhold Robbe:    "Wäre es nicht eigentich sinnvoller, die Bundeswehr in das Technische Hilfswerk einzugliedern um so ein Zeichen für eine pazifistische Politik der Bundesrepublik zu setzen? Immerhin betont ja die Politik bei jeder Gelegenheit, daß wir von Freunden umgeben seien."
Reinhold_Robbe: Ich will jetzt nicht darüber nachdenken, welcher Partei der Fragesteller angehört. Unabhängig von der Ernsthaftigkeit dieser interessanten Einlassung, stellt sich die Frage nicht. Die Bundesrepublik ist verlässlicher Partner im System der kollektiven Sicherheit. Persönlich bin ich froh, dass sich die Soldaten im Rahmen der Parlamentsarmee darauf verlassen können, niemals in irgendwelche Abenteuer geschickt zu werden.
Moderator: Frage von Cambria an Reinhold Robbe:    "Zum Thema Einsatzarmee: Welchen Vorteil für die Sicherheit Deutschlands hat es, dass der Bundeswehr nun durch eine Grundgesetzänderung die "Piratenjagt" erleichtert werden soll? Und inwiefern rechtfertigt sich der Bundeswehreinsatz, wo es doch eigentlich laut Gesetz Sache der GSG 9 sein soll, zB Geiseln zu befreien?"
Reinhold_Robbe: Über mögliche Änderungen des Grundgesetzes im Zusammenhang mit den Einsätzen von Spezialkräften entscheidet bekanntlich der Deutsche Bundestag.
Moderator: Frage von StUffz an Reinhold Robbe:    "Der Bundeswehr fehlen unzählige Fachärzte. Die Sanitätsstaffeln sind notorisch unterbesetzt. Grund ist unter anderem die Besoldung, die im Zivilen wesentlich höher ist. Welche Lösungsansätze hat da die Regierung?"
Reinhold_Robbe: Da müssen Sie die Regierung fragen. Wenn Sie meine Meinung hören wollen, dann steht die Bundesregierung - und hier der zuständige Bundesminister der Verteidigung in der Pflicht, möglichst bald ein Konzept für die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Sanitätsärzte und das übrige Sanitätspersonal vorzulegen. Es wurde zwar für einen Teil der Ärzte eine Zulage beschlossen. Dies kann nach meiner Auffassung aber nur der erste Schritt sein. Eine Attraktivitätssteigerung in diesem wichtigen Bereich mit Schlüsselfunktion ist dringend erforderlich, um einerseits die sanitätsärztliche Versorgung in den Heimatstandorten und andererseits die Qualität der Sanität im Einsatz auch künftig zu gewährleisten.
Moderator: Frage von Påskeegg an Reinhold Robbe:    "Frage an Herrn Robbe: "Wie beurteilen Sie die Entwicklung hinsichtlich rechtsextremer Tendenzen in der Bundeswehr? Und ganz speziell: Gibt es bestimmte Truppenteile, die in dieser Hinsicht deutlich stärker betroffen sind als andere, und falls ja, woran liegt das Ihrer Ansicht nach?" "
Reinhold_Robbe: Wenn Sie in die letzten 4 Tätigkeitsberichte des Wehrbeauftragten schauen, werden Sie feststellen, dass sich die Zahl der sogenannten besonderen Vorkommnisse mit rechtsradikalem Hintergrund nicht signifikant verändert hat. Im Jahre 2008 gab es exakt 121 Vorkommnisse, die fast ausnahmslos sogenannte Propagandadelikte (abspielen von einschlägigen Tonträgern, überspielen von Klingeltönen) waren. Obwohl ich gerade in dieser Frage naturgemäß außerordentlich sensibel bin, kann ich keine Auffälligkeiten in der Bundeswehr feststellen, die zu besonderer Sorge Anlass sein könnten.
Moderator: Frage von Makenshi an Reinhold Robbe:    "Herr Robbe, denken sie das die Bundeswehr mit ihrer Ausrüstung und Finanzierung ihren momentanen Aufgaben gewachsen ist?"
Reinhold_Robbe: Auf diese Frage pflege ich nicht mit ja oder nein zu antworten. Auch hier verweise ich gern auf meinen Tätigkeitsbericht. Ich muss leider immer wieder darauf hinweisen, dass die Bundeswehr unterfinanziert ist. Nicht zuletzt deshalb, gibt es Defizite, wie beispielweise in speziellen Bereichen des Schlüsselpersonals oder beim luftbeweglichen Transport.
Moderator: Frage von StUffz an Reinhold Robbe:    "Im aktuellen Bericht des Wehrbeauftragten haben sie von einer schlechten Stimmung der Truppe gesprochen. Als angehender Feldwebel habe ich ähnliche Erfahrungen gemacht. Vielen Soldaten missfällt zum Beispiel der fehlende Rückhalt der Gesellschaft für die Einsätze in Afghanistan, im Kosovo oder in Bosnien. Wie kann man, trotz des "Bürger in Uniform" die Gesellschaft erreichen und für mehr Verständnis sorgen?"
Reinhold_Robbe: Die fehlende gesellschaftliche Akzeptanz für das, was unsere Soldatinnen und Soldaten in allen Teilen der Welt leisten, sowie die damit in Verbindung stehende fehlende moralische Unterstützung des soldatischen Dienstes ist in der Tat ein Problem, was mir bei jedem Truppenbesuch in der Heimatstandorten und in den Einsatzgebieten quer durch sämtliche Schichten und Ebenen berichtet wird. Dies hat selbstverständlich Ursachen, die aus meiner Sicht mit unserer speziellen Geschichte und dem daraus resultierenden tief verwurzelten Pazifismus zu tun hat. Persönlich bin ich jedoch der Auffassung, dass es im 60 Jubiläumsjahr des Grundgesetzes endlich angebracht ist, in Deutschland eine aus meiner Sicht notwendige Debatte über einen "neuen Patriotismus" zu beginnen. Und diese Debatte beinhaltet auch die Frage, wie wir gegenüber unseren Soldatinnen und Soldaten menschliches Mitgefühl, Solidarität (in der Kirche spricht man von Nächstenliebe) besser als bisher zum Ausdruck bringen können. Hier steht aber nicht nur die Politik in der Pflicht, sondern auch alle gesellschaftlichen Gruppen, die Gewerkschaften und die Kirchen.
Moderator: Frage von NightHorse an Reinhold Robbe:    "herr Robbe, warum wird immernoch am Wehrdienst festgehalten? dieser ist doch, Wenn man es genauer betrachtet, eine eindeutige benachteiligung junger Maenner Frauen gegenueber, oder meinen sie nicht?"
Reinhold_Robbe: Ich habe schon auf die Zuständigkeit des Parlaments mit Blick auf die künftige Wehrverfassung hingewiesen. Wenn der Wehrbeauftragte nach seiner persönlichen Meinung gefragt wird, sagt er: Eine allgemeine Dienstpflicht für Männer und Frauen wäre das optimale für unsere Gesellschaft. Ich bin fest überzeugt davon, dass es grundsätzlich gut ist, wenn ein junger Mensch 9 Monate seines Lebens für das Gemeinwohl zur Verfügung stellt. Hierbei kommt es nicht in erster Linie darauf an, wo er die Wehrpflicht ableistet. Wichtig ist, dass er für sich die Frage beantwortet, was der Einzelne für den Staat tun kann.
Moderator: Frage von Richard B. an Reinhold Robbe:    "Nur weil jemand pazifistisch eingestellt ist muß er nicht gleich der Linkspartei angehören, Herr Robbe. Sind Sie der Auffassung, daß in Afghanistan Krieg herrscht, oder meinen Sie wie der Verteidigungsminister, daß dort nur »eine andere Situation« sei?"
Reinhold_Robbe: Ich kann mich nicht entsinnen, die Verbindung zwischen Parzifismus und Linkspartei hergestellt zu haben. Zur Frage der Semantik im Zusammenhang mit dem Afghanistan-Konflikt ist es in der Tat so, dass es sich - völkerrechtlich betrachtet - nicht um einen internationalen, bewaffneten Konflikt, also Krieg, handelt. Unabhängig davon, sprechen mir gegenüber die betroffenen Soldatinnen und Soldaten von kriegsähnlichen Verhältnissen in bestimmten Bereichen Nordafghnistans, beispielsweise im Großraum von Kundus. Deshalb ist es für die Soldaten auch selbstverständlich, verletzte Kameraden als "Verwundete" und getötete Kameraden als "gefallene" Kameraden zu bezeichnen. Alles andere wird wie eine Verharmlosung der Kampfhandlungen betrachtet. Deshalb rate ich sehr dazu, in diesem Zusammenhang sensibel und realistisch mit den Begrifflichkeiten umzugehen.
Moderator: Frage von DeeJay an Reinhold Robbe:    "Herr Köhler hat in seiner jüngsten Rede explizit den Soldaten in Afghanistan gedankt und dafür auch das erste Mal in dieser Rede großen Applaus bekommen. Bedeutet so etwas den Soldaten eigentlich etwas, oder wird das nur als übliche SOnntagsreden-Floskel abgehakt, wie empfinden SIe das in Ihren Gesprächen mit den SOldaten?"
Reinhold_Robbe: Zunächst einmal kann ich sagen, dass unser wiedergewählte Bundespräsident ein großes persönliches Interesse an unseren Soldatinnen und Soldaten hat. Ich werde von ihm regelmässig zum Gespräch über die Situation in der Bundeswehr eingeladen. Außerdem setzt er immer wieder persönliche Zeichen der Verbundenheit mit den Bundeswehrangehörigen. Dies wird von den soldatinnen und Soldaten dankbar registriert und trägt ganz sicher dazu bei, das vom Bundespräsidenten geprägte "freundliche Desinteresse" an unseren Soldatinnen und Soldaten abzubauen. Unabhängig davon verweise ich auf meine obigen Ausführungen zu diesem Thema.
Moderator: Frage von StUffz an Reinhold Robbe:    "Wieso hat die Bundesregierung Geld für 180 Eurofighter, aber nicht für zeitgemäße Räumlichkeiten für Soldaten? Beispiel: Die ArtS in Idar-Oberstein benötigt schon lange eine Sanierung. Auch eine zeitgemäße Ausstattung fehlt und im internationalen Vergleich hinkt die Bundeswehr stark hinterher (Funk zum Beispiel). Was plant die Regierung in diese Richtung?"
Reinhold_Robbe: Ich heiße weder Franz Josef (nämlich Dr. Jung) noch Wolfgang (nämlich Schneiderhan) sondern Reinhold, nämlich Robbe. Ganz im Ernst: Ich bin nicht Sprecher der Bundesregierung, sondern das Kontrollorgan des Deutschen Bundestages. Meine Aufgabe besteht nicht darin, die Sinnhaftigkeit von Rüstungsprojekten zu untersuchen. Deshalb sind derartige Fragen an den zuständigen Bundesminister zu richten. Wenn es jedoch um den Zustand unserer Kasernen geht, so hat der amtierende Wehrbeauftragte in seinem vorvorletzten Tätigkeitsbericht dazu ausführlich Stellung genommen und deutlich Kritik geübt. Daraufhin wurde ein 600-Millionen-Sanierungsprogramm für die westdeutschen Kasernen aufgelegt. Mit diesem Geld konnten bereits viele Maßnahmen in Angriff genommen werden. Falls der Fragesteller persönliche Bezüge zur Kaserne in Idar-Oberstein haben sollte, möge er mir bitte möglichst umgehend seine detaillierten Ansichten mitteilen. Ich bin gerne bereit, mich umgehend zu kümmern. Meine emailadresse: wehrbeauftragter@bundestag.de
Moderator: Frage von Knusperpop an Reinhold Robbe:    "Wie beurteilen Sie die Zerstörung von Bundeswehrfahrzeugen durch militante Pazifisten?"
Reinhold_Robbe: Genauso wie jeder andere einigermaßen normal und rechtsstaatlich denkende Bundesbürger.
Moderator: Frage von StUffz an Reinhold Robbe:    "Im ihrem Bericht von 2008 sprechen sie von einem Frauenanteil von 8,25 % bei unseren Streitkräften (wobei selbstverständlich der Anteil im Sanitätsdienst deutlich größer ist). Trotzdem wurde die Quote nicht erreicht (50% im Sanitätsdienst und 15% im Truppendienst). Und es ist mehr als Bekannt, dass Frauen in der Bundeswehr noch immer einen schweren Gang haben (verständlich, wenn der Großteil von Soldaten männlich ist) und viele Empfinden die "Erleichterungen" als ungerecht (eben die Quote, die Anforderungen bei den IGF-Daten oder allgemein die Ernennung zum SaZ), Muss man das Quotendenken aufgeben und Geschlechstneutral einfach nach Leistung beurteilen?"
Reinhold_Robbe: Auch diese Frage ist zu komplex, als das sie mit einer pauschalen Antwort quittiert werden könnte. Grundsätzlich kann ich in meiner Verantwortung feststellen, dass die Integration von Frauen in der Truppe als gelungen bezeichnet werden kann. Das schließt aber selbstverständlich nicht aus, dass vor dem Hintergrund von konkreten Vorkommnissen bzw. Untersuchungsergebnissen auch mit Blick auf den Einsatz von Frauen immer wieder neu überlegt und entschieden werden muss. Damit meine ich insbesondere Notwendigkeiten mit Blick auf die körperliche Leistungsfähigkeit von Frauen in extrem Situationen. Hier geht es nicht um irgendwelche Quotierungsfragen, sondern ausschließlich um Aspekte der größtmöglichen Sicherheit und des Selbstschutzes.
Moderator: Kommen wir zu letzten Frage. Leider ist die Zeit schon wieder um. Ich bitte um Verständnis, dass wir nicht alle Fragen stellen konnten.
Moderator: Frage von Isha: Wieviele Anfragen bekommt mal als Ombudsmann der Streitkräfte von den Soldaten so im Monat?
Reinhold_Robbe: Aufs Jahr bezogen, bekomme ich zwischen 5.500 und 6.000 Petitionen von den Soldatinnen und Soldaten unserer Bundeswehr. Im Augenblick zeichnet sich ein leichter Anstieg der Eingaben gegenüber dem Vorjahr ab.
Moderator: Ich bedanke mich ganz herzlich im Namen der gesamten Community für das interessante Gespräch und wünsche Ihnen noch einen schönen Abend. Danke. :)
Reinhold_Robbe: Ich bedanke mich ebenfalls. Es hat Spaß gemacht mit Euch. Falls der ein oder andere noch weitergehende Fragen haben sollte, kann er mich gerne direkt anmailen. Beim Internetkanzler bedanke ich mich für diese spannende Möglichkeit des direkten Internetgespräches. Herzliche Grüße aus Berlin
: Moderator hat den Raum verlassen