Thema: [RL] Overload vs. GrundregelnNeuer Beitrag
Von: Nuit Le Petit Prince 24.02.2016 14:32 Uhr
Emotionaler Overload vs. gesellschaftliche Grundregeln

An der Person der Bundeskanzlerin und ihrer politischen Haltung scheiden sich derzeit die Geister. Obwohl es wohl gerade etwas schwierig ist, Merkels Haltung in Pro/Contra zu bewerten. Dazu müsste Merkel eine Haltung haben und sie auch einhalten.

Wie kürzlich eine Umfrage zeigte, haben jedenfalls ihre Beliebtheitswerte gelitten. Ein Grund dafür dürfte sein, in der Flüchtlingsfrage links geblinkt zu haben, um dann rechts abzubiegen - so sind natürlich alle "verschnupft". Gerade diejenigen, die sich in den vergangenen Jahren von den Parlamentspolitikern sehr alleine gelassen fühlten mit dem Naziterror in Deutschland. Auf der Rechten wiederum ist man ungehalten darüber, dass Merkel plötzlich ihre Menschlichkeit und ihre Fürsorglichkeit für notleidende Menschen entdeckt hatte - zumindest für ein paar Ansprachen.

Letztlich ist aber nicht die Bundeskanzlerin das aktuelle Thema, das vielen "unter den Nägeln brennt", sondern eher die Bösartigkeit, mit der sexuell belästigte Frauen von Nazis als Projektionsfläche für deren Hetze missbraucht wurden. Damit schienen sie ja sogar eine Weile erfolgreich zu sein. Denn das Thema ist tatsächlich emotional so sehr besetzt, dass die inneren Widersprüche Vielen erst gar nicht aufgefallen sind. Und hätten die Rechten nicht so sehr übertrieben, auf ihren Webseiten ihre Anhängerschaft aufzufordern sexuelle Straftaten vorzutäuschen, hätten sie vielleicht sogar immer noch Erfolg mit dieser Masche.
Die brennende Frage ist folglich, wie wir als Gesellschaft mit Menschen umgehen und umgehen wollen.

Glücklicherweise scheint aber auch unsere Polizei zu funktionieren und gegen die marodierenden Nazibanden mit den Mitteln der Justiz vorzugehen, die scheinbar glauben, nun sei die Zeit und der passende Vorwand gekommen, in immer mehr deutschen Städten nachts durch die Straßen zu marschieren. Vielleicht wird es trotz aller Behinderungen der Justiz durch Rechtsextremisten und deren Anhängerschaft auch tatsächlich eines Tages möglich, sicher zu sagen, was in der Neujahrsnacht geschah, in welchem Ausmaß es geschah und vielleicht sogar die Täter juristisch zu belangen.

Jedenfalls scheint die erste Glut verflogen und die ersten Menschen haben gemerkt, dass jemand, der etwas gegen sexuelle Belästigung einzuwenden hat, sich im Zweifelsfall nicht für den Ausweis von Täter und Opfer interessiert, sondern dafür, ob er selbst einschreiten kann, oder besser nach Hilfe ruft.
Dennoch tippen sich quer durchs Internet nach wie vor Personen um jedes bisschen Restrespekt, den man gemeinhin einem Menschen gegenüber aufbringt. Zu sehr spricht aus jeder Zeile der Wille zu beleidigen, der Wille, die eigenen unbewältigten Aggressionen ausleben zu wollen, der Wille, durch Lügen und Unterstellungen Feindbilder zu erschaffen und zu kultivieren. Kurz: die völlige Verwahrlosung macht es sehr schwierig, den Menschen hinter den Wort gewordenen Gewaltexzessen zu sehen.

Es bleibt aber auch festzuhalten, dass man diesen Unmenschen eigentlich dankbar sein müsste für diese Einlassungen und auch für Plakate wie "Grabschen erst für Deutsche!" Ohne die Blödheit und Abartigkeit dieser Rechtsextremisten wären sicherlich mehr Menschen auf diese Falle hereingefallen und hätten womöglich auf die Mordhetze gegen Flüchtlinge eingestimmt.

Als jemand, der ganz in der Nähe einer Flüchtlingsunterkunft wohnt, kann ich jedoch sagen, dass man sich kaum noch vor die Türe traut mit seiner Familie. Das Bedrohungsszenario ist wirklich heftig: schade dass man kriminelle Nazis nicht abschieben kann - und es rächt sich jetzt, dass man Nazis in den vergangenen Jahrzehnten immer mit Samthandschuhen anfasste. Gerade so als sei wahnhaftes Erleben eine adäquate Rechtfertigung für alle möglichen Einschüchterungen und Gewaltverbrechen.

Man kann es herauslesen: Es gibt derzeit wichtigeres als Merkels Beliebtheitswerte und die Frage, welche Haltung sie vielleicht haben könnte, solange es ihr nutzbringend scheint.

Beispielsweise könnte man derzeit mal mit Konservativen sinnvoll über Sexismus reden, und dass es eben KEIN WITZ für Herrenstammtische ist, wenn Frauen sexuell belästigt werden. Man könnte auch mal ganz grundsätzlich über das Verhältnis unserer Gesellschaft zu den Menschenrechten reden. Man könnte auch mal ernsthaft darüber reden wie unsere Exekutive dazu gebracht wird, geltende Gesetze auch konsequent anzuwenden - selbst wenn der Verbrecher "hübsch Hakenkreuze zeichnen kann". Die Gleichheit vor dem Gesetz beispielsweise ist nämlich ein Grundsatz dieses Landes, der im Grundgesetz verbrieft ist: Da gibt es keinen Generalverdacht, nach dem man Minderheiten diskriminieren kann, und auch kein Freibrief für Gewaltverbrecher, die glauben, ihre Kriminalität habe gefälligst "als Meinung" zu gelten.

Höchste Zeit also, dass sich inner- und außerparlamentarische Kräfte einmal ernsthaft mit der Frage "wie wollen wir miteinander leben" beschäftigen und wie mit Menschen umzugehen ist, die sich grundsätzlich nicht an die Regeln unserer Gesellschaft halten wollen, aber lautstark drakonische Strafen für "Andere" einfordern, weil diese sich ja vielleicht auch nicht an diese Regeln halten könnten.

Reim-und-Klang
Für die LPP