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Fragenübersicht Ist das Zudrehen des Gashahns seitens Russlands als indirekte Kriegserklärung zu verstehen?
1 - 12 / 12 Meinungen
30.03.2022 19:12 Uhr
Ja - immer feste druff
30.03.2022 19:24 Uhr
Es wäre eine Reaktion im Rahmen eines Wirtschaftskrieges, der ohnehin schon im Gange ist.

Ich glaube aber nicht, dass er das macht. Gasfelder sind nämlich keine Bierfässer, die jeder Depp einfach auf- und zudrehen kann. Die Gasentnahme einzustellen, ohne das Gasfeld auf absehbare Zeit zu zerstören, ist nämlich eine Herausforderung, die Russland vermutlich technisch nicht beherrscht. Das kontrollierte Abfackeln des ausströmenden Gases wird auch schwierig. Darauf dürfte ja auch die russische Infrastruktur nicht ausgelegt sein.

Aber denken wir das Ganze mal spieltheoretisch durch.

Szenario: Russland setzt den Gasexport nach Europa aus. Auf europäischer Seite kommt es zu einer ernsthaften Rezession, die Industrieleistung geht sehr deutlich mit beachtlichen Wohlstandseinbußen zurück. Die russischen Gas- und Ölfelder brechen in ihrer Kapazität brachial ein. Das Wiederanfahren würde nennenswerte Investitionen, westliches Knowhow und in jedem Fall relativ viel Zeit benötigen.

Auswirkungen der 1. Runde:
Europa:
Die Europäer würden sich ärgern, die Hurra-Stimmung gegenüber der Ukraine würde zurückgehen. Die Fähigkeit, die Ukraine mit Geld und Waffen zu unterstützen, wäre eingeschränkt, aber noch immer im nennenswerten Umfang vorhanden, notfalls müssten die USA und GB den Ukrainekrieg industriell alleine stemmen, was prinzipiell machbar wäre. Es würde erstmal kein einziges europäisches Land im Bürgerkrieg versinken oder als Staat nicht mehr handlungsfähig sein, aber es wären überall die Konsequenzen spürbar.

Konsequenz auf russischer Seite: Kurzfristig nimmt die Liquidität in Euro ab. Auch das ist auf russischer Seite sehr ärgerlich. Die Hurra-Stimmung für den Krieg gegen die Ukraine leidet etwas mehr. Allerdings trifft der Schlag die Russen kurzfristig weniger als die Europäer. Die russische Bevölkerung wird nicht zwischen dem Schaden durch abgedrehte Gashähne und der Wirkung bestehender Sanktionen unterscheiden können. Auch Russland wird deswegen nicht seine Handlungsfähigkeit als Staat verlieren.
Allerdings nehmen in Russland die Zentrifugalkräfte zu, die dort eine kritische Größe sind. Etwa 15% der russischen Bevölkerung gehören nicht-slawischen Ethnien an, in Sibirien liegt hier der Schwerpunkt. Diese Ethnien sind nicht für großrussische Propaganda empfänglich. Ihre Loyalität zu Russland liegt daran, dass die "Pax Russiae" ihnen einen akzeptablen Lebensstandard und eine Grundlage für die Geschäftstätigkeit bietet. Diese Zentrifugalkräfte nehmen kurzfristig zu, erreichen aber wahrscheinlich noch keinen zerstörerischen Wert.

Drittstaaten: Hier sind die Auswirkungen verheerend. Russland findet nirgends auf der Welt eine moralische Unterstützung seiner Position. Es gibt einige Russland wohlgesonnene Drittstaaten, die auf Opportunismus aufbauen und keine Sanktionen verhängen. Diese sagen sich: "Wir wollen mit dem Westen und Russland Geschäfte machen, irgendwann ist dieser Krieg zu Ende, Russland ist auch dann noch ein brauchbarer Akteur im Markt und dann wollen wir an unsere Geschäfte in Russland anknüpfen".
Diese Drittstaaten gehen davon aus, dass Russland dauerhaft gegenüber Drittstaaten in etwa mit bestehender, evtl. mittelmäßig gesenkter Wirtschaftskraft begegnen kann.

Sobald klar wird, dass die russischen Öl- und Gasfelder, die mit großem Abstand wichtigste Einnahmequelle Russlands für längere Zeit ausfällt, gibt es für die Drittstaaten keinen opportunistischen Grund mehr, Russland auf dem Markt zu vertrauen. Es ist dann gar nicht mehr möglich, dass Russland irgendwann wieder auch nur in der Nähe der alten wirtschaftlichen Größe relevant wird.

Russland käme also in die gleiche Situation wie Deutschland im März/April 1945 wo auch NS-freundliche, neutrale Staaten dem Deutschen Reich den Krieg erklärten. Nicht weil sie Hitler gehasst hätten, sondern weil seine Sache ohnehin so offenkundig verloren war, dass es besser war, als bekennender Faschist den Achsenmächten den Krieg zu erklären um de jure auf der Seite der Sieger zu sein, als auf eine irgendwann mal bestehende Erholung des Reiches zu spekulieren. Es würden sich also de facto sehr viele Marktakteure aus dem Russland-Geschäft zurückziehen. Vor allem, weil Russland eh nicht zahlen kann und der Glaube daran fehlt, dass es das in Zukunft können wird. Verkauft wird das dann als moralische Entscheidung.

Das führt uns dann in die 2. Runde:
Europa:
Der Ärger in Europa weicht einem neuen Optimismus, dass Russland wegen der steigenden Zahl russlandfeindlicher Marktakteure (siehe Drittstaaten 1. Runde) bald in die Knie gezwungen wird. Innerhalb Europas gibt es schwindende "5. Kolonnen" der russischen Sache, weil niemand an eine zeitnahe Stärke Russlands mehr glaubt. Stattdessen gibt es eine Schlammschlacht darüber, wer die Misere durch die Abhängigkeit vom russischen Gas und naivem Vertrauen auf Russland verursacht hat. Je schwerwiegender die Krise, desto härter das allgemein akzeptierte Vorgehen gegen "Russlands 5. Kolonne".

Russland: Innerhalb Russlands schwindet der Glaube an die mittlere Zahlungsfähigkeit Russlands unabhängig vom Kriegsverlauf. Dadurch nehmen die Zentrifugalkräfte innerhalb Russlands zu und zwar in einem kritischen Ausmaß, zumal die Kampfkraft russischer Verbände im Inland immer geringer wird. Sowohl regionalistische Kräfte innerhalb der slawischen Bevölkerungen, als auch der Nationalismus nicht-slawischer Kräfte werden stark ansteigen und z.B. in Tschetschenien, aber auch in anderen Regionen Russlands offene Verweigerungen zur Unterhaltung der russischen Staatlichkeit nach sich ziehen. Sobald dies in einem größeren Ausmaß eintritt, könnte der Ukraine-Krieg übrigens erledigt sein, so wie der 1. Weltkrieg gegen Italien erledigt war, sobald Österreich-Ungarn sich auflöste.
30.03.2022 19:35 Uhr
kleine anmerkung/korrektur: Es sind ca. 20%, die ncihtrussischen ethnie angehoeren.

die (momentan) groessten oel-und gasvorkommen liegen in der "Autonome Republik Tartastan", einem gebiet mit mehrheitlich muslimischer bevoelkerung. einem gebiet, dass bereits im zuge des zerfalls der sowjetunion seine unabhaengigkeit erklaert hatte und durch jelzin muehsam wieder in die foederation zuerueckgebracht werden konnte.
30.03.2022 20:45 Uhr
Nein.

Die Maßnahme hätte zwar katastrophale Folgen für uns, wenn der Gaspreis sich nochmal vervielfacht, zumal es jetzt nochmal einen Wintereinbruch gibt. Hoffentlich wird es schnell wieder warm, über den Sommer sparsam mit Warmwasser umgehen und bis November müssen andere Bezugsquellen(Flüssiggas aus Amerika, Arabien) etabliert sein. Und natürlich muss der Atomstrom und Kohlestrom unvermindert weiterlaufen, das ist hoffentlich eine Selbstverständlichkeit in dieser Situation.

Aber von der Dimension ist es auch nichts anderes als eine Wirtschaftssanktion. Also nicht mit einer Kriegserklärung gleichzusetzen.

Diese Meinung wurde zuletzt geändert am 30.03.2022 20:48 Uhr. Frühere Versionen ansehen
30.03.2022 21:02 Uhr
Nach dieser Logik wären auch die Sanktionen des Westens eine "indirekte Kriegserklärung".
30.03.2022 21:06 Uhr
Zunächst einmal hat er dem Vernehmen nach Scholz heute gesagt, für die europäischen Vertragspartner ändere sich nichts. Man könne weiter in Euro zahlen. Was das Getöse dann sollte, werden wir hoffentlich morgen erfahren.

Davon abgesehen sagen alle bisherigen Simulationsrechnungen, es würde zwar übel - wobei das Ausmaß von "übel" variiert - aber es würde auch keine Vollkatastrophe. Keineswegs würde "die Volkswirtschaft sterben", wie es gewisse Branchenverbandsvorsitzende an die Wand malen. Entsprechend ist es auch keine Kriegserklärung. Wir sollten hier nicht Putins Rhetorik übernehmen.

E:
Zitat:
Nach dieser Logik wären auch die Sanktionen des Westens eine "indirekte Kriegserklärung".

Das behauptet Putin ja auch. Deshalb sage ich, wir sollten nicht seine Rhetorik übernehmen.

Diese Meinung wurde zuletzt geändert am 30.03.2022 21:08 Uhr. Frühere Versionen ansehen
30.03.2022 21:14 Uhr
Die indirekte Kriegserklärung sind die Waffenlieferungen an die Ukraine.
31.03.2022 00:13 Uhr
Zitat:
Die indirekte Kriegserklärung sind die Waffenlieferungen an die Ukraine.


Überhaupt nicht. Im Vietnamkrieg lieferte beispielsweise die Sowjetunion ganz selbstverständlich Waffen an den Vietcong. Übrigens nicht nur Waffen, darunter auch großes Gerät, sondern es wurden auch sowjetische Piloten umgeflaggt.

War das damals eine Kriegserklärung an die USA?

Warf jemand der Sowjetunion eine "Kriegserklärung an Israel" vor, als sie die Araber um Israel hochgerüstet hatte?

Diese linksradikale Rhetorik von Dir, wonach das Bewaffnen der Opfer eine Kriegserklärung an den Aggressor sei, ist in sich nicht haltbar.

Nach Deiner Logik müsste sich Deutschland übrigens im Krieg mit der Ukraine befinden, da wir - auch nach der Krimannexion - Rüstungsgüter an Russland verscherbelt haben. Sogar moderneres Zeug, als unsere eigene Bundeswehr hat.
31.03.2022 00:27 Uhr
Zitat:
Die indirekte Kriegserklärung sind die Waffenlieferungen an die Ukraine.


Wohl kaum. Der Aggressor ist schließlich Russland. Die Waffen der Ukrainer dienen der Verteidigung ihres Gebietes, nicht dem Angriff auf russisches Territorium.
31.03.2022 00:38 Uhr
Zitat:

Wohl kaum. Der Aggressor ist schließlich Russland. Die Waffen der Ukrainer dienen der Verteidigung ihres Gebietes, nicht dem Angriff auf russisches Territorium.


Stimmt. Wobei: Das modernste Infanterieausbildungszentrum der Welt, das wir nach (!) der Krimannexion bei Moskau aufgebaut haben, dient der heutigen Aggression in der Ukraine. Und all die Dual-Use-Güter "made in Germany", die sich derzeit in den Antriebsträngen russischer Panzer finden, ebenfalls.

Vom deutschen Technologietransfer an Kamaz, den großen russischen LKW- und Panzerproduzenten mal ganz zu schweigen. Aber klar, wenn man einem Bedrängten Waffen gibt, damit er sich verteidigt, dann ist das in der Denke linker Damen eine Aggression. Die akzeptieren höchstens die Übersendung von Flüchtlingen, die man dann in moralischer Überheblichkeit großzügig bemuttern kann. Aber ja nicht dafür sorgen, dass souveräne Völker eigenverantwortlich ihren Staat aufbauen und dann auch noch gegen ein Imperium verteidigen.
31.03.2022 04:59 Uhr
"Die indirekte Kriegserklärung sind die Waffenlieferungen an die Ukraine."

Und die direkte Kriegserklärung an den Verstand sind solche "Aussagen".
31.03.2022 13:30 Uhr
Das ist doch eine Floskel. Wir befinden uns in einem Konflikt mit Russland. Putins Russland hat der europäischen Idee schon lange den Krieg erklärt, wer jetzt zuerst den Gashahn zudreht, ist da weniger entscheidend. Für uns ist es wichtig uns von russischen Rohstofflieferungen unabhängig zu machen. Russland ist vollkommen abhängig davon, seine Rohstoffe zu exportieren und wird es noch viel schwerer haben, sich hier umzustellen oder gar andere Abnehmer zu finden. Darum hoffe ich eher darauf, dass wir zuerst den Gashahn abstellen können.
  GRUENE   IDL   SII, KSP   FPi
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  LPP   Volk, Sonstige
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